„Es ist der schmale Grat der Grenzerfahrung zwischen Lebensgier und Todesahnung“, lese ich gerade in meinem Buch (Neues vom Nachbarn), und denke es passt ganz gut. Mit ausgestreckten Beinen genieße ich den beiderseitigen Ausblick auf die Donauufer, während um mich herum zwei ungarische Grundschulklassen rumkrakeelen. An Bord des Mahart Ausflugdampfers kommt man ganz ohne Strampeln gut voran, in diesem Falle von Esztergom nach Budapest. Diese Methode könnte der vernarrte Radfahrer als Schummeln abtun, ich hingegen empfinde es als Bereicherung meiner Tour, mich auch mal auf dem Fluss zu bewegen, statt immer nur längs desselben. Auch wenn ich ständig Angst habe, eine Packung Kekse oder die Turnschuhe des Strebers an den Kopf zu kriegen.


Meine Beine, die schwer auf den weichen Polstern ruhen, hatten alle Mühe, mich rechtzeitig zum Fähranleger zu bringen. Die heutige Etappe war das komplette Gegenteil der gestrigen. Gestern noch starker Rückenwind, gepaart mit einer Asphaltpiste entlang des Donaustausees, wo meine Tachonadel selten unter 30 km/h fiel, und das Kilometerfressen ein leichtes war. Heute dann der reinste Horror. Zunächst ein etwa 3 km langes Schotter-Schlamm-Matsch-Erlebnis, auf welches ich und mein Rad gerne verzichtet hätten. Der Dreck, der sich in Kette und zwischen Reifen und Schutzblech verkroch, machte mir noch den ganzen Tag zu schaffen. Dazu immer wieder Abschnitte mit Gegenwind, schlechte Radwege und lange Strecken auf verkehrsreichen Straßen. Hundert Kilometer mit dieser Streckencharakteristik machen keine Lust auf mehr.


Das Wetter könnte auch mal besser werden! Zwischenzeitlich habe ich das Gefühl ich bewege mich nordwärts statt gen Süden. Wo ich abends in Wien noch mit zwei Pullovern auskam, habe ich in Bratislava noch zusätzlich die Regenjacke anziehen müssen. Auf dem Weg nach Ungarn dann der starke Wind, der nur dank der richtigen Richtung zu ertragen war. Es braucht dringend „local warming“, so dass ich die langen Schichten mal weiter unten in den Packtaschen verstauen kann.


Nun denn, ansonsten bin ich guter Dinge. In Wien, Bratislava und Györ wurde ich bestens von Couchsurfing Gastgebern aufgenommen, in Budapest stehen drei Nächte im Hostel an. Ein wenig Zeit, meine müden Beine auszuruhen und Neuland zu erkunden. Bis dahin lasse ich noch ein wenig meine Augen schweifen. Vielleicht sehe ich ja den einen oder anderen Radfahrer am Ufer strampeln. Es könnte ein leicht verschmitztes Lächeln zur Folge haben.


Tag 9, Melnik - Prag: 60km, 590Hm, 17,6km/h

Zugtransfer Prag - Wien

Tag 10, Wien - Bratislava: 80,5km, 443Hm, 22,1km/h

Pausentag

Tag 11, Bratislava - Györ: 90km, 420Hm, 23,7km/h

Tag 12, Györ - Budapest: 105km, 410Hm, 21,3km/h

Pausentage