Seit vielen Monaten haben wir darauf gewartet, dass es endlich einmal passiert. Auf dem Flughafen in Auckland war es dann so weit. Wir standen am Gepäckband und warteten vergeblich auf unsere Rucksäcke. Sie waren noch in Hong Kong. Vermutlich lag es daran, dass wir mehr als spät eingecheckt haben (30 Minuten vor Abflug). Aber das erzählten wir dem freundlichen Gepäckverantwortlichen natürlich nicht. Unsere Rucksäcke, unsere geliebten Sachen, hätten einfach da sein müssen. Das sah Cathay Pacific genauso und uns wurden auf die Schnelle 130 NZL-Dollar pro Person ausgezahlt.


Die Kohle hatten wir auch bitter nötig, denn nach all den heißen, sonnigen Tagen in Asien erwischte uns die neuseeländische Frühlingskälte besonders hart. So mussten wir nicht lange überlegen und kauften uns neue Pullover und Jacken.


Eine andere Besorgung stand zusätzlich auf dem Programm. Nach reichlichem Überlegen hatten wir uns auf den Kiwi Islands gegen das Reisen mit Bus- und/oder Bahn entschieden. Wir wollten uns das erste Mal auf unserer Reise in einem eigenen Auto fortbewegen. Es sollte so günstig wie möglich erstanden werden, aber dennoch fahrtauglich sein. Zudem sollte es ein Kombi sein, in dessen Kofferraum wir auch die ein- oder andere Nacht verbringen können. So standen wir den einen Tag bei “Turner’s Auction” und wollten uns ein schönes Gefährt ersteigern. Tatsächlich wurden Kombis vorgefahren, die unseren Vorstellungen entsprachen, aber wer möchte schon auf ein Auto bieten, das er sich vorher nicht gründlich angesehen hat oder Probe gefahren ist? Dafür hätten wir vier Stunden eher dort sein müssen und das war aus schlaftechnischen Gründen nie eine Option für uns…


Tja, da standen wir nun ohne Auto. Aber mit ein wenig Herumfragen und flinken Füßen schlugen wir uns zu “Easy Buy” durch, einer Art Zwischenhändler, bei dem der Kaufinteressent wiederum ein Angebot für sein Wunschauto abgeben kann. Das Auto geht dann täglich um 17 Uhr an den Höchstbietenden. Angeblich hatte unser bevorzugtes Objekt einen geschätzten Wert von 2500 NZL Dollar. Unser werter Verkaufsberater Hugo aus Peru meinte, wenn wir 2000 Dollar bieten, würden wir es bestimmt bekommen. Wir zogen einfach seine Provision von 260 Dollar ab, boten also 1740 Dollar und sagten uns, wenn es nicht funktioniert, bieten wir einen Tag später noch ein wenig mehr für die Karre. Aber…wir bekamen den Zuschlag. Von da an waren wir die stolzen Besitzer eines 15 Jahre alten Nissan Avenirs, Automatik, 250.000 km gelaufen. Der Motor schnurrt nach wie vor wie ein Kätzchen und wir sind der Meinung, dass uns unsere neue Freundin, die wir auf den Namen “Michelle Dose” getauft haben, sicher durch Neuseeland bringen wird. Natürlich haben wir erst nach dem Kauf festgestellt, dass sich die Fahrertür von außen weder verschließen noch öffnen lässt, aber so was sind ja nur Kleinigkeiten.


Das Auto war erstanden und raus ging es aus Auckland in Richtung Rotorua. Die ersten beiden Nächte mit und in Michelle waren die Hölle. Es war so bitterkalt, dass noch nicht einmal mehr warme Gedanken geholfen haben, um die nötige Wärme für angenehmen Schlaf zu finden. Die nächtlichen Temperaturen waren knapp über dem Gefrierpunkt und damit waren unsere Sommerschlafsäcke hoffnungslos überfordert. Glücklicherweise ist es mittlerweile ein wenig wärmer geworden und sowohl im Zelt als auch im Auto lässt es sich ganz gut aushalten.


Das Erste, was man in Rotorua wahrnimmt, wenn man in die Stadt fährt, ist der Gestank. Bei einigen Windböen und in bestimmten Ecken der Stadt stink es fürchterlich nach Schwefel und faulen Eiern. Dazu blubbert es überall aus irgend welchen Erdlöchern und hier und da gibt es eine heiße Quelle, in der man baden gehen kann. Geothermisch ist also so einiges los in diesem Örtchen.

Natürlich zog es uns in das nahe gelegene, weltbekannte Mountain Bike Gebiet, wo wir unser Können auf zwei Rädern unter Beweis stellen wollten. Auf die Experten Trails haben wir uns dann doch nicht getraut (Wer möchte schon über Rampen springen und sich über Baumkronen katapultieren?), aber die Trails für Fortgeschrittene haben wir dann doch ganu gut gemeistert – bis es an den “Challenge”-Parcours ging. Während ich noch den letzten Schluck aus meiner Wasserflasche nahm, düste Torge los. Auf dem Weg versuchte er auf einem etwas anspruchsvolleren Abschnitt, eine Baumwurzel zu küssen. Glücklicherweise erwischte er sie “nur” mit dem Brustkorb. Ein wunderschöner Kratzer zeichnete sich auf seiner Brust ab, der aussah, wie das Resultat einer Freddy Krüger-Attacke und die Haut drum herum sollte ein paar Tage später noch einen äußerst dunkelblauen Farbton annehmen.


Nach so viel freigesetzten Adrenalin führte uns Michelle sicher weiter ins Inland der Nordinsel. Über eine lange Schotterpiste ging es an den Lake Waikaremoana. Nach langer Zeit hieß es mal wieder, die Wanderstiefel zu schnüren und einen der schönsten Seen Neuseelands zu umrunden. Bereits am ersten Tag boten sich uns atemberaubende Ausblicke auf das Gewässer. Wir sahen unglaublich viele Pflanzen, die wir so in Neuseeland nicht erwartet hätten. Vor allem die Farnpflanzen und die krumm gewachsenen Bäume ließen alles sehr tropisch aussehen. Wir hörten von Einheimischen, dass am See im Sommer sehr viel los sein soll. Da wir aber noch weit vor der Saison dort ankamen, sahen wir an dreieinhalb Tagen nur vier Menschen – zwei andere Wanderer und Reece und Ben (Ein Neuseeländer spricht den Namen “Bien” aus. Und “weather” wird zu “weeeether” und ein Jet Boat wird zu “Jeeeeeeet Boat”. Oftmals verstehe ich eh nicht viel. Komischer Dialekt hier…”Chur bro” heißt wohl so viel wie “Prost Alter!” “Jafas” gibt es auch noch und ist eine schöne Abkürzung für “Just another fucking Aucklander”. Soviel dazu.


Jedenfalls trafen wir Reece und Ben am zweiten Wandertag gegen Mittag an einer Hütte. Sie waren mit ihrem kleinen Boot zum Fischen und Jagen dort und vor ihnen türmte sich bereits ein beachtlicher Haufen an leeren Bierdosen auf. Da wir es an dem Tag nicht eilig hatten, blieben wir drei Stunden dort, probierten von der frisch geangelten und bereits geräucherten Regenbogenforelle und tranken ein Bierchen mit. Wir fühlten uns wie im Pardadies, denn die Beiden gaben uns alles, was wir auf solchen Touren aus Gewichtsgründen nicht mitnehmen können, aber immer so fürchterlich vermissen. Der Abschied von den Beiden fiel schwer, war aber auch nur von kurzer Dauer. Denn als wir gerade an unserem Tagesziel angekommen waren, fuhr in der Abenddämmerung das uns bekannt Boot vor. Wir brauchten bestimmt ein halbe Stunde, um das komplette Boot auszuladen. Doch es war uns die Sache wert. Am Abend gab es ein Festmahl – selbst geschossenes Reh mit Bratkartoffeln, dazu das vierprozentige Billigbier “Double Brown”, das so richtig gut die Kehle runterging. Action wurde uns außerdem geboten. Nach geschätzten 55 Dosen Double Brown sprang Reece auf, bewaffnete sich mit einem Scheinwerfer, seinem Jagdmesser und einer Schaufel und schrie: “I’ll kill it, bro!” Damit meinte er das Oppossum, das vor unserer Hütte saß. In Neuseeland sind diese Tiere eine wahre Plage. Sie wurden aus Australien eingeschleppt, mittlerweile gibt es 70 Millionen davon, und wenn man sie nicht mit Fallen und Gift bekämpfen würde, wären es noch sehr viel mehr Tiere, die Tag für Tag die Vegetation Neuseelands wegfressen würden. Nichtsdestotrotz war es eine ziemlich blutige und brutale Show, die Reece uns bot. Sie endete mit einem geköpften Opposum, dem noch das Fell abgerupft wurde. Denn dieses bringt 10 Dollar.


Nach einem kurzen Zwischenstopp in der Gangster- und Hafenstadt Napier, wo man auffällt, wenn man in der Pizza Hut-Warteschlange keinen Kapuzenpulli trägt, ging es weiter zum Whanganui River. In 5 Tagen wollten wir in dieser landschaftlich äußerst sehenswerten Gegend 146 Kilometer mit dem Kanu zurücklegen. Übungseinheiten hatten wir schon damals in Dänemark auf einem See absolviert, doch als uns der Kanuverleiher nach unserer “Canoe Experience” fragte, horchten wir doch etwas auf. Wir bekamen von ihm eine Karte, auf der gefühlte 155 Stromschnellen beschrieben waren und sechs Plastiktonnen, die unser Gepäck trocken halten sollten. Hoch motiviert paddelten wir los. Besonders gewarnt wurden wir vor “Rapid 14″, die bereits nach einer halben Stunde vor uns auftauchte. Schnell wurde ans Ufer gepaddelt und die Lage analysiert. Den “Chicken Trick”, also das Entlangziehen des Kanus am Ufer, schlossen wir kategorisch aus. Wir waren uns absolut sicher, wie wir die Kurven zu nehmen hatten und wo der für uns sicherste “Channel” war. Dummerweise lagen wir falsch. Zwei hohe Wellen erwischten uns voll. Das Kanu war plötzlich bis zur oberen Kante mit Wasser gefüllt. Mit allerletzter Kraft schafften wir es, uns mit dem Boot ans Ufer zu retten. Wir können also mit stolzer Brust behaupten, dass wir nicht gekentert sind. Allerdings standen sämtliche Fässer für mehrere Minuten unter Wasser. Laut Angabe des Verleihers sollten die Fässer bis zu 15 Minuten wasserdicht sein. Bei fünf Fässern stimmt das auch. Nur bei dem Fass mit meiner Wechselkleidung (!) kam Wasser rein. Was soll’s? Bekleidung trocknet eh am schnellsten am Körper und auch mein super spannender Krimi ist beim Lesen wieder trocken geworden.


Es sollten noch viele weitere herausfordernde Stromschnellen kommen, doch wir meisterten sie gekonnt und konnten dabei die tiefen Schluchten, die sich der Fluss gegraben hatte, bewundern. Bis einschließlich heute weigert Torge sich strikt, sich “Herr der Ringe” anzusehen. Doch ich fühlte mich hier und da oftmals an den Film erinnert. Klares, sauberes Flusswasser, Wälder und Wiesen in den vielfältigsten Grüntönen, frei herumlaufende Ziegen, Schafe und viele exotische Vögel, die am Himmel ihre Kreise zogen. Die passenden Geschichten zur Region wurden uns von dem ein oder anderen Ranger erzählt, die wir gelgentlich abends in den Hütten antrafen. So soll es mindestens einen Verrückten gegeben haben, der diesen stark strömenden Fluss mit Kayak flussaufwärts bewältigt haben soll. Der absolute Wahnsinn.


Nach fünf Tagen in der Wildniss waren wir froh, Michelle wiederzusehen und spürten jeden Rückenmuskel, als wir uns in sie hineinsetzten. Zügig fuhren wir nach Wellington, wo wir gleich Freundschaft mit unseren Hostelmitbewohnern schlossen und mit ihnen am Freitag und auch am Samstag Abend um die Häuser zogen. Wellington wird auch die “Windy City” genannt, weil dort so gut wie jeden Tag ein starker Winder durch die Häuserzeilen pfeift. Inbesondere beim Joggen an der Küste habe ich ihn auch zu spüren bekommen. Des Weiteren fiel auf, dass im Vergleich zu Auckland in Wellington ein alternativeres, extrovertierteres Publikum anzutreffen ist. Alles ist sehr überschaubar und gut zu Fuß zu erreichen. Natürlich stand auch Kultur auf dem Programm und wir besuchten das Nationalmuseum “Te Papa”. Und das nicht nur, weil es dort Internet umsonst gab. Nein, man konnte sich auch in ein nachgebautes Zimmer stellen und ein Erdbeben “erleben”. Sehr interessant. Überbieten konnte das nur noch der Film aus “Schafsperpektive”. Einem Schaf wurde eine Kamera auf den Kopf gesetzt und man konnte sich aussuchen, ob man aus der Sicht des Tieres beim Fressen oder beim “dumm in der Gegen rumgucken” beiwohnen möchte. Ich habe eine Minute lang durchgehalten.


Auf den Bildern könnt ihr sehen, dass unsere Bärte zur Zeit immer länger und länger werden. Das liegt nicht daran, dass uns die Rasierklingen ausgegangen sind. Nein, wir haben beschlossen, uns während unseres kompletten Neuseeandaufenthaltes – das sind immerhin sieben Wochen – nicht zu rasieren. Bisher halten wir durch. Aber vor allem beim Essen nerven uns die Dinger. Ständig bleiben irgendwelche Stückchen im Bart hängen oder die fettige Instant-Nudelsuppe bahnt sich ihren Weg durchs Geäst. Uns haben schon verdammt viele Leute gesagt, dass uns der Bart stehen würde. Bitte, seid ehrlich, wir wissen, dass es nicht so ist. Aber wenn man in Neuseeland mal nicht so gut aussieht, fällt das auch nicht groß auf.


//Chris