Gerade hat mich der Busfahrer durchgewunken. Er versteht kein Englisch, aber ich konnte ihm mit Gestik und Mimik erklären, dass ich noch keine Mark habe, sondern nur serbische Dinar. Ja, hier zahlt man in konvertiblen Mark, und die Preise sind auch noch so, wie vor Einführung des Euros, aber das ist eine andere Geschichte. Gestern hatte ich zwei ähnliche Erlebnisse in Belgrad. Zunächst war ich in drei Fahrradgeschäften, um ein passendes Teil zur Reparatur meines Gepäckträgers zu finden. Fehlanzeige. Jedoch arrangierte einer der Mitarbeiter im Service-Center von Bike Planet ein Treffen mit Veljko. Veljko wohnt am anderen Ende der Stadt und ich fahre nachmittags zu ihm nach Hause. Hier hat er eine kleine Werkstatt und nimmt sich gleich meines Problems an. Etwa eine Stunde werkelt er herum und bastelt auch noch ein wenig an Bremsen und Gängen, bis alles wieder richtig sitzt. Als ich ihm Geld anbiete, ist er fast gekränkt. Wir einigen uns darauf, dass ich ihm eine Postkarte aus Istanbul schicke. Zwei Stunden später sitze ich in einem Biergarten und schaue das Champions League Finale zwischen Barcelona und Juventus. Zur Halbzeitpause kommen zwei Jungs und fragen, ob sie sich auf die freien Plätze neben mir setzen dürften. Ich komme nicht drum herum, mir von ihnen im Gegenzug einen ausgeben zu lassen.


Ankunft Sarajevo. Eine atemberaubende Altstadt, ohne pompöse Gebäude, ohne Glanz und Gloria, dafür mit viel Atmosphäre und einem ansprechenden Mix aus osmanischen und westlichen Einflüssen. Unzählige Minarette bilden den Vordergrund für die grünen Hänge, die rund um die Stadt den Himmel berühren zu scheinen. Es gibt Orte, an denen fühle ich mich einfach wohl. Vom ersten Wimpernschlag an war mir klar, dass ein jeder Schritt durch die kleinen Gassen es wert ist, gegangen zu werden.


Diese Stadt hat alles gesehen. Gavrilo Princips Zug am Auslöser seiner Pistole, der Schuss, der in letzter Konsequenz auch Auslöser des ersten Weltkriegs sein sollte. Viele weitere Schüsse haben seitdem Spuren hinterlassen. Sarajevo hat die längste Belagerung der modernen Kriegsgeschichte erlebt. Das Leben hier Anfang der Neunziger Jahre war als solches nicht zu bezeichnen. In der Galerija 11/07/95 kann man sich vom Schrecken der Belagerung und des Genozids von Srebrenica auf eindrucksvolle Weise ein Bild machen. Gute Fotografie ist nicht immer schön. Manchmal, und in diesem Falle besonders, hinterlässt sie einen mit fortdauernden Gedanken.


Nach einem Spaziergang am Fluss Miljacka bleibt die Freude über das, was die Stadt und ihre Menschen jetzt vorleben: Das man zwanzig Jahre nach dem Horror wieder in einem der vielen Straßencafés sitzen kann, plaudernd und lächelnd, schauend, wer sonst noch so durch die Gassen schlendert. Meine Freude gilt der Tatsache, dass innerhalb eines Quadratkilometers sowohl zwei Kirchen, zwei Synagogen und zwei Moscheen stehen. Schaue ich vom Fluss nach Süden, so verläuft in etwa zwei Kilometer Entfernung die Grenze zwischen der Föderation Bosnien und Herzegowina und der Republik Srpska, deren Soldaten für Genozid und Belagerung verantwortlich waren. Beide Teile machen heute den Staat Bosnien und Herzegowina aus, trotz all dem, was gewesen ist. Die Situation bleibt komplex, aber laufe ich durch Sarajevo, kann ich mir nicht vorstellen, dass sich die Menschen hier wieder abschlachten könnten.


Es würde in mir eine Narbe hinterlassen, es würde mich berühren. Anders als in den Neunzigern, als Sarajevo für mich ganz weit weg war.