Brasilien, für viele der Inbegriff für braungebrannte Schönheiten, guten Fussball, tropische Strände und Caipirinhas. Andere denken eher an die Abholzung der Regenwälder rund um den Amazonas, die Armut und Kriminalität in den Favelas, Prostitution und deutsche Sextouristen, sowie die Frage warum das Land seit Jahrzehnten nie so richtig den Sprung aus der Kategorie “Schwellenland” geschafft hat.


Brasiien hat zwei Gesichter. Man fühlt die ausgelassene Fröhlichkeit der Brasilianer, wenn man nur hier ist. Man schmeckt die unzähligen leckeren Früchte und andere Delikatessen, wie Feijoada (Fleischeintopf), Churasquinhos (Fleischspieße), Coxinhos (Hühnchen-Käse-Bälle) und Bolinhos (gefüllte Teigbälle). Man hört den Rhythmus von Samba, Funk und Axé, der durch die Strassen gleichermassen hallt, wie er durch die Adern der Brasilianer pumpt. Man sieht die Schönheiten, die sich am Strand räkeln, in den Balladas (Discos) tanzen, oder in Lanchonetes (Cafes) den Tag vorrüberziehen lassen.


Wenn Brasilien sein anderes Gesicht zeigt, möchte man am liebsten wegschauen. Gleich am ersten Tag in Sao Paulo lugte es kurz hervor. Beim abendlichen Spaziergang im Libertade Viertel, eigentlich eine sichere Gegend in Sao Paulo, wurde uns zur Begrüßung eine Straßenschlacht geboten, etwa 30 Personen schlugen sich mit Stöcken, und allem was sonst noch zur Verfügung stand, die Köpfe ein. 5 Minuten später wurden wir Zeugen eines zum Glück glimpflich ausgegangenen Motorradunfalls. Schrecksekunden, die uns auf die Gefahren in diesem Land aufmerksam machten. Der nächste Tag im Reichenviertel zeigte, wie sich die Oberschicht von der Unterschicht abschottet: Mauern um Häuser oder Stadtviertel, Stacheldraht, Elektrozäune, Sicherheitspersonal, Kameras. Man tut, was man kann.


Neuigkeiten kursieren: In Salvador streikt die Polizei, die Mordrate hat sich von einem Tag auf den anderen verdoppelt. Hier wollen wir in ein paar Tagen Karneval feiern, gemeinsam mit einer halben Million Touristen und ein paar Millionen Brasilianern. Plünderungen, Gewalt und Totschlag stehen plötzlich auf der Tagesordnung, die Miitärpolizei wird in die Region geschickt, ohne große Wirkung. Das andere Gesicht Brasiliens ist dreckig, böse und gemein. Es kann einem die Fröhlichkeit, die Delikatessen, den Rhythmus und die Schönheit dieses Landes vermiesen. Man weiß nie, wann sich welches Gesicht zeigt.


Der Karneval beginnt, die Polizei arbeitet wieder, die Lage ist unter Kontrolle, wir sind guter Dinge, wir lieben das Land und die Leute, wir genießen Caipis und Coxinhos, der Strand hat uns gebräunt und ein bißchen schöner gemacht, ja, mit einem kleinen Augenzwinkern könnte man sogar meinen, wir hätten Rhythmus im Blut. Zumindest waren wir gestern im brasilianischen Fernsehen zu sehen, wie wir zu Sambamusik einen Walzer getanzt haben. Wir machen es wie die meisten Brasilianer. Wir ignorieren das böse Gesicht des Landes. Dadurch steigt kurzfristig die Lebensqualität, und man kann gelassener in den Tag hineinleben.


Dem Land selbst hilft dies natürlich nicht. Abschotten und ignorieren verändert nichts! Grundlegendere Veränderungen sind notwendig. Der Sozialstaat lebe hoch! Zu klar sind hier die Klassengrenzen gezeichnet. Brasilien bleibt an der Schwelle hängen, weil es eine verarmende und kriminelle Unterschicht nicht mitschleppen kann. Auf der brasilianischen Flagge steht “Ordnung und Fortschritt”. Ein bßchen davon könnte auch nicht schaden. Doch als Reisender kann man sich nicht mit allen Problemen herumschlagen, geschweige denn diese in Angriff nehmen. Abschotten, heraushalten, ignorieren, weglaufen sind die Rezepte, die wir uns verschrieben haben. Möge uns die Polizei in Bahia dabei helfen, wir werden es mit Fröhlichkeit danken.


//Torge