Vor plus minus tausend Jahren müssen einige Khmer genauso geschwitzt haben wie ich gerade. Ihre Aufgabe war es, schwere Steine so aufeinander zu stapeln, dass ich und viele andere Touristen in der Gegenwart mit halboffenem Mund die schiere Schönheit Angkor Wats bewundern dürfen. Die Tempelanlagen ziehen sich über mehrere Quadratkilometer durch den Dschungel, aber die Prachtexemplare sind Angkor Wat und Ta Prohm. Ersterer besticht durch die Magie bei Sonnenaufgang, wenn sich die Silhouette im vorgelagerten Teich spiegelt und vom farbenreichen Himmel umspielt wird. Um vier Uhr morgens bin ich mit Thomas aus Österreich losgeradelt, eine gute halbe Stunde ohne Licht durch die Dunkelheit, um rechtzeitig am besten Platz Stellung zu beziehen. Aus dem pechschwarzen Dunkel hatten sich langsam die zwiebelförmigen Kuppeln abgehoben, die Wolken am Himmel zogen sich langsam zurück, und kurz vor Sonnenaufgang wechselten sich gelb und rot und pink und orange am Himmel ab. Die Magie des Augenblicks in einem Foto einzufangen ist unmöglich, aber jeder Druck auf den Auslöser fabriziert ein neues Postkartenmotiv.
Ein wenig später schlendern wir durch die Gänge und zwischen von Bäumen überwucherten Mauern von Ta Prohm, den Tempel, den Angelina Jolie als Tombraider berühmt gemacht hat. Während sie sich vor Fallen und bösen Widersachern vorsehen musste, haben wir eher damit zu kämpfen, den Touristenschwärmen zu entkommen, und Fotos zu schießen, die frei von japanischen Busladungen sind. An den Stellen des Tempels, wo Angelina ihr süßes Näschen in die Kamera hielt, ist dies eine unlösbare Aufgabe. Angkor Wat ist das touristische Ziel Südostasiens, nur Dank der Weitläufigkeit hat man überhaupt manche Momente, manche Orte für sich. Man muss strategisch vorgehen, gegen den Strom schwimmen, früh aufstehen und schnell sein. Nur dann hat man eine Chance.
Neben Tikal und Machu Picchu ist Angkor Wat einer der Orte auf der Welt, wo es sich wirklich lohnt, alte Steine anzuschauen. Es ist vor allem die Lage im Dschungel, das Zusammenspiel von Natur und religiöser Stätte, das das Aussergewöhnliche ausmacht. Da nehme ich auch gerne in Kauf, aus allen Poren zu ölen, mich zwischen Koreanern hindurchzuschlengeln, und weihnachtliche Radtouren um vier Uhr morgens zu starten. Frohe Weihnachten aus Siem Reap, ohne Weihnachtsbaum aber mit “heiligen” Momenten!